AKTIVER SCHULWEG – CHANCE FÜR DIE GESUNDHEIT Ein aktiver Schulweg bietet Kindern und Jugendlichen die Chance, quasi nebenbei eine wichtige Portion Bewegung zu erhalten, die ihnen sonst fehlen würde. Das sorgt nicht nur für einen gesünderen und fitteren Körper sondern auch für einen wacheren und leistungsfähigeren Kopf. Text: Achim Schmidt Sofaland: sitzend krank Die Bevölkerung der westlichen Industrienationen, so auch die Deutschen, gerät in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend in den Einfluss von zwei wesentlichen gesundheitlichen Risikofaktoren. Zum einen führte eine Fehl- und Überernährung zu einer starken Zunahme des Anteils von übergewichtigen Menschen und zum anderen trägt ein ausgeprägter Bewegungsmangel zur Verbreitung von Zivilisationserkrankungen in erheblichem Maße bei, auch bei Kindern und Jugendlichen. So ist der Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen eine der größten gesundheitlichen Bedrohungen unserer Zeit. Die Studienlage dazu ist bedrückend. Je älter die Kinder werden, desto weniger bewegen sie sich. Das zeigt die groß angelegte KIGGS Studie (Kinder und Jugend Gesundheitssurvey) überdeutlich. Im Grundschulalter bewegen sich nur knapp ein Drittel der Kinder ausreichend, in den weiterführenden Schulen sinkt diese Wert teilweise bis auf 7,5% bei den 14-17 jährigen Mädchen. Ausreichend wird dabei mit mindestens 60 Minuten Bewegung pro Tag definiert. Der Ursprung: Sammler und Jäger Noch deutlicher wird die gegenwärtige Schieflage unseres Bewegungsverhaltens unter Berücksichtigung der evolutionären Entwicklung des Menschen. Mussten Neandertaler oder andere hominide Vorfahren des Menschen noch einen Großteil Ihrer Zeit mit der Beschaffung von Nahrung verbringen und dabei täglich geschätzt bis zu 30 km an Wegstrecke zurücklegen, ist das Bewegungspensum des modernen Menschen stark zusammengeschrumpft beziehungsweise kaum noch existent. So werden in unterschiedlichen Studien Werte zwischen 500 und 1500 Metern als durchschnittliche zurückgelegte Fußwegstrecke von Deutschen genannt. Eine österreichische Untersuchung von Kaufmann (2010) zeigt ein erschreckendes Bild: nur 20% der Kinder zwischen vier und sechs Jahren bewegen sich ausreichend. Ende der neunziger Jahre war das noch etwas besser: Grundschüler verbringen neun Stunden des Tages sitzend, neun Stunden liegend, fünf Stunden stehend und nur eine Stunde in Bewegung, wovon lediglich 15 bis 30 Minuten auf intensive Bewegung entfallen (Ost und Bös, 1997). Eltern: Nur nicht bewegen! „Nur nicht bewegen“ ist das Lebensmotto vieler Erwachsener in Deutschland, die diese Bewegungseinstellung an ihre Kinder weitergeben. Selbst kurze Wegstrecken werden im PKW zurückgelegt und stark steigende Bildschirmzeiten von Erwachsenen wie Kindern tragen Teil zum ausgeprägten und kultivierten Bewegungsmangel in unserer Gesellschaft bei. Laut der KIM Studie (Kinder, Internet, Medien: 2020) nutzen schauen 6 und 7jährige Kinder im Mittel 133 Minuten pro Tag auf einen Bildschirm (TV, Internet, Spiele, etc.) Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt maximal 60 Minuten. In der Altersgruppe 12 und 13 Jahre steigt dieser Wert auf 313 Minuten. Während die Kinder also über 5 Stunden im Schnitt auf einen Bildschirm schauen, bewegen sie sich nicht. Wissenschaftlich werden die Auswirkungen dieses Verhaltens auf die Gesundheit etwas widersprüchlich diskutiert, jedoch mit einer klaren Tendenz in Richtung gesundheitsschädlichen Auswirkungen. 010
Die größte Gefahr weiterer Bildschirmzeit für Kinder und Erwachsene liegt abgesehen von psychischen und sozialen Risiken in einer weiteren Reduktion der Bewegungszeit. Für Kinder ist der Umgang mit Smartphones und Tablets hoch attraktiv. Diese Geräte treten somit in direkte Konkurrenz zu traditionellen Bewegungsangeboten und stellen einen wesentlichen Bewegungshemmer dar. Digitales Kindermädchen Für Kleinkinder stellen mobile Geräte eine Art digitales Kindermädchen dar, das im verdichteten Arbeitsalltag der Eltern viele Aufgaben der Kinderbetreuung auf unkomplizierte Weise übernimmt. Einer amerikanischen Studie zu Folge geben 61% der Eltern an, ihr Kind mit einem Smartphone oder Tablet beschäftigt zu haben, um Zeit für sich selbst zu gewinnen. Eine neuseeländische Studie wird hinsichtlich der Einflüsse von Fernsehen sehr deutlich (Lindsay und Mitarbeiter, 2013). Je früher und intensiver Kinder fernsehen, desto aggressiver und unsozialer ist ihre Persönlichkeit im Erwachsenenalter. Schlechte Noten, Schulabbrüche und Kriminalität sind in der Gruppe der Vielseher signifikant häufiger zu beobachten. Vor diesem Hintergrund können die wahrscheinlich verheerenden Auswirkungen des exzessiven Gebrauchs von mobilen Geräten nur erahnt werden. Selbstverständlich hat die Nutzung von digitalen Endgeräten in gelenkten Bahnen und kontrolliertem Umfang auch ihr Gutes. Aber wie schon Paracelsus sagte, macht die Dosis das Gift. Bewegung: das Allheilmittel Angesichts der drohenden weiteren Zunahme sogenannter Zivilisationserkrankungen nimmt die Bedeutung von Alltagsbewegung zu. Die Studienlage ist eindeutig: Bewegung ist individuell sowie für ein Kollektiv ein probates unspezifisches Allheilmittel zur Reduzierung einer Vielzahl von Krankheiten und Beschwerden. Als abgesichert gelten starke positive Einflüsse auf die Lebenserwartung, kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, Blutdruck, Darmkrebs, Knochendichte, Erkrankungen des Bewegungsapparates und das Körpergewicht. Nach der HBSC-Studie der WHO zeigen aktive Jugendlichen (10-16 Jahre) ein signifikant niedrigeres BMI (Body Mass Index), was mit dem Körpergewicht korreliert. Hervorzuheben sind auch die psychischen Auswirkungen von Bewegung: Ausgeglichenheit und Stimmungsaufhellung sind die wichtigsten Effekte von regelmäßiger Bewegung. Bei der Frage nach dem Maß an Bewegung wird gerne die Empfehlung der WHO (World Health Organisation) zitiert, die ein Minimum von 150 Minuten oder fünfmal 30 Minuten Alltagsbewegung oder Sport pro Woche für Erwachsene fordert. Die Bewegung sollte dabei mindestens 10 Minuten andauern. Kinder und Jugendliche sollten sich täglich mindestens 60 Minuten bewegen. In Hinblick auf die Wertigkeit von Sport und Alltagsbewegung im Vergleich, können für den Sport keine Vorteile ausgemacht werden, sofern die Alltagbewegung über eine ausreichende Belastungsdauer von mindestens 10 Minuten ausgeführt wird und eine Mindestintensität erreicht, die je nach Fitnesszustand unterschiedlich ist. Als Alltagsbewegung kommt den beiden Fortbewegungsformen „Gehen“ und „Radfahren“ eine besondere Bedeutung zu, da sie ideale Voraussetzungen zur Gesundheitsförderung implizieren. Und damit schließt sich der Kreis zum aktiven Schulweg. Der aktive Schulweg Als Schlussfolgerung aus den eher negativen Perspektiven für die zukünftige Entwicklung unserer Gesundheit und der unserer Kinder können nachfolgende allgemeine Forderungen abgeleitet werden. 1) Kommunen, Schulen, Kitas aber auch Arbeitgeber etc. müssen mehr Anreize für Alltagsbewegung schaffen, damit zusätzliche niederschwellige Angebote zur selbstgetätigten Bewegung das Bewegungsverhalten nachhaltig verändern. 2) In Schulen und Kindergärten muss dem Thema Bewegung (Sportunterricht) und Mobilität ein größerer Stellenwert eingeräumt werden. Bewegung in jederlei Hinsicht muss für Kinder und Jugendliche wieder alltäglich werden. Im schulischen und vorschulischen Umfeld muss ausreichend Zeit für körperliche Aktivität bereitgestellt werden. Die tägliche Bewegungsstunde entspräche den Forderungen der WHO. 3) Eltern müssen das Bewegungsverhalten ihrer Familie grundlegend überdenken und körperliche Aktivitäten in die Tagesroutinen einbeziehen. Tägliche Transportwege müssen neu organisiert und zunehmend selbstgetätigt zurückgelegt werden. IDEEN FÜR DEN AKTIVEN SCHULWEG BIKE BUS Gemeinsam machen aktive Schulwege mehr Spaß. Der sogenannte Bike-Bus oder Walking-Bus sind zwei Möglichkeiten, Kinder gemeinsam zu aktiven Schulwegen zu motivieren. Eltern oder ältere SuS übernehmen die Patenschaft für einen Bike Bus und begleiten die Kinder vor allem morgens auf dem Weg zur Schule. WETTERFESTE KLEIDUNG Eltern sollten motiviert werden, die Kinder auch bei schlechtem Wetter auf den aktiven Schulweg mit passender Kleidung zu schicken. Vielfach reicht schon ein Regenschirm aus und es muss nicht die teure Goretex Jacke sein. KLASSENWETTBEWERBE Schulradeln oder Klimatour sind nur zwei Webbasierte Wettbewerbe, bei denen die Kinder im Klassenverband aktive Kilometer sammeln können, um beispielsweise CO2 einzusparen. SCHULEVENTS UM DEN AKTIVEN SCHULWEG Mit gemeinsamen Startaktionen im Rahmen von Schulfesten zum Radfahren und Gehen kann mehr Motivation erzeugt werden. Wichtig ist die Verstetigung und das positive Herausstellen des aktiven Schulwegs. FORSCHUNGSPROJEKTE AKTIVER SCHULWEG Bereits in der Grundschule können Kinder ihrer Wege protokollieren und ihr Befinden, Aufmerksamkeit, etc. analysieren. So findet eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Thema statt und die Eigendynamik nimmt zu. Gemeinsam können Schulwege analysiert und optimiert werden. Von Klassen formulierte Forderungskataloge an die Kommune können über die Schulkonferenz an die kommunale Verwaltung kommuniziert werden. Lokale Medien sollten unterstützend einbezogen werden. 011
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